Zur Abwechslung einmal etwas völlig Anderes: Keine Autos sondern Essen in der Luft war Thema in diesem Beitrag, der im Frühling 2010 im Magazin des Verkehrshauses erschienen ist. Das Foto des Kochs schoss für mich Arthur Mebius, Starfotograf aus Amsterdam www.arthurmebius.com
Kulinarische Genüsse zum Abheben
Das Catering-Konzept „SWISS -Taste of Switzerland“ stellt den Passagieren der SWISS verschiedene Tourismusregionen der Schweiz kulinarisch vor. Für jeweils drei Monate werden Gerichte serviert, wie sie auch in der Küche eines ausgewählten Spitzenhauses der entsprechenden Region zubereitet werden. Von März bis Juni 2010 ist es die Gastronomie des in diesem Jahr 100 Jahre alt gewordenen Hotel Montana, welche die Region Luzern würdig auf dem internationalen Liniennetz der Swiss vertritt. Aber wie wird Spitzenküche flugtauglich?
Die Küche zwischen Himmel und Erde
Auf der einen Seite steht ein eigespeiltes Küchenteam unter der Leitung eines routinierten Küchenchefs, dessen Ideen und Kreativität sich auf jedem Teller wiederfinden, der die Küche verlässt. Der Gast speist in der einmaligen Ambiente des Art-Deco Interieurs des Hotel Montana und darf sich nicht nur auf ein Erlebnis für den Gaumen, sondern auch für das Auge freuen.
Dem gegenüber steht der grösste unabhängige Airline-Caterer der Welt, Gate Gourmet, mit seiner Grossküche am Flughafen Zürich. Nebst vielen anderen Airlines beliefert das Unternehmen die SWISS mit über 20′000 First- und Business-Class Menus pro Monat. Hier werden Gerichte im Fliessband „produziert“, wohl auch mit viel Handarbeit, aber dennoch standardisiert und mit digitaler Präzision.
Ist es denn überhaupt möglich, die gehobene, handwerklich aufwändige Küche so zu variieren, dass sie noch authentisch bis zum Flugpassagier an Bord gelangt?
Kein Schweinefleisch, kein roher Fisch
Johan Breedijk ist der Küchenchef im Hotel Montana in Luzern. Er pflegt in der Küche des besten 4-Sterne Hotels der Schweiz eine südlich-mediterrane Kochkunst. Sämtliche Speisen werden täglich frisch zubereitet. Ein eingespieltes Team sorgt dafür, dass jeder Teller ein kulinarisches Ereignis wird. 15 Gault Millau Punkte für das „Scala Restaurant“ sind der verdiente Lohn für den Aufwand.
Er habe schon umdenken müssen, meint Breedijk, der stolz die Schweizerflagge wie auch diejenige seiner Holländischen Heimat am Revers trägt.
Im September des vergangenen Jahres wurde er angefragt, ob er rund 25 Menu-Elemente „flugtauglich“ machen wolle. Die Vorgaben waren: Kein Schweinefleisch und kein roher Fisch, ein Fischgericht, ein Fleischgericht und ein vegetarisches Gericht, dazu je in Dessert mit Eis, mit Schokolade und mit einem Mousse.
Eine intensive Vorbereitungszeit begann. Es galt, Rezepturen zu variieren, zum Beispiel dann, wenn der Speckmantel aus oben genanntem Grund zu entfallen hatte. In der Gate-Gourmet Testküche wurden die adaptierten Menus geprüft und entsprechend den Erfahrungen der spezialisierten Köche verfeinert. Kein Problem, meint Breedijk, Kochen sei international und die Prozesse überall gleich.
Unterschiede im Detail
Dennoch gibt es gravierende Unterschiede zwischen seiner Hotel-Küche und den Bedürfnissen einer „Bordverpflegung“, sofern diese profane Bezeichnung auf einem so hohen Niveau überhaupt adäquat ist. Die Gerichte werden durch Gate-Gourmet 24 Stunden im Voraus zubereitet, das Fleisch wird nur angebraten und das Gemüse blanchiert um anschliessend mittels Schockkühlung bei 2 Grad Celsius weiterverarbeitet und dann bereitgestellt zu werden. Dafür ist professionelles Küchenpersonal zuständig. Im Unterschied zu einer Hotelküche liegt es jedoch nicht im Ermessen oder dem Geschick des Kochs, welche Mengen wo verwendet werden, sondern an der Einstellung einer Maschine. Das heisst, das Fleisch wird maschinell Gramm-genau zugeschnitten und in einer Art „Tumbler“ gewürzt. Der Grund ist nicht nur die Geschwindigkeit, sondern die Tatsache, dass jeder Fluggast exakt dieselbe Portion erwarten darf wie es der Sitznachbar geniesst. Das entsprechend vorbereitete Essen wird danach an einem Fliessband einzeln in Schalen verpackt (Fleisch, Gemüse, Saucen etc) und ist dann bereit, um an Bord gebracht zu werden. Alle diese Prozesse geschehen standardisiert und gemäss Vorlage.
An Bord ist es die Aufgabe der Flight Attendands, die Gerichte entsprechend der Menuauswahl der Fluggäste zu zu bereiten und anzurichten. Die Speisen werden einzeln aus ihren Schalen genommen und mittels Ofen und Steamer erwärmt beziehungsweise „regeneriert“. Dazu sind die Garzeiten der verschiedenen Menu-Elemente ebenso genau festgelegt wie das korrekte Anrichten. Dies geschieht Klassengerecht auf richtigem Geschirr. Eine entsprechende Schulung vermittelt dem Flugpersonal die Philosophie des Gastkochs, erläutert die Zubereitung und stellt sicher, dass der Gast einwandfrei bedient wird. Es versteht sich jedoch von selbst, dass angesichts der Menge, der beengten Platzverhältnisse und des limitierten Zeitfensters nicht mehr als fünf Handgriffe für diese Arbeit nötig sein dürfen. Umso mehr sind also die kreativen Qualitäten des Gastkochs gefragt, wenn angesichts dieser recht schnörkellosen Darreichung das Auge trotzdem mitgeniessen soll.
Keine Kompromisse trotz Kompromissen
Johan Breedijk musste für eines seiner Desserts auf das Glas verzichten, es hätte mit seiner Höhe im engen Trolley keinen Platz gefunden. Und Saucen oder Jus bedürfen einer gewissen Festigkeit, sonst laufen sie buchstäblich Gefahr, eben dies zu tun – auszulaufen beim Start und folgendem Steigflug! Oder Cherry-Tomaten, in der Menge verarbeitet wie dies Gate-Gourmet täglich tut, sind am Stück wesentlich günstiger als wenn diese jeweils einzeln von Hand halbiert werden müssten. Aber auch gewisse Gewürzmischungen sind im Rahmen dieser Zubereitungsweise nicht möglich.
Ja, ein Gastkoch müsse damit leben können, sich in die Karten schauen zu lassen, denn ohne das Lüften einiger Geheimnisse sei es nicht möglich, seine Küche auf die Bedürfnisse des In-Board-Caterings anzupassen, meint Breedijk, und es brauche Vertrauen in die Küchenmannschaft des Caterers. Lohn dafür aber sei es, mit seinen Kreationen eine internationale Gästeschar zu erreichen und die Küche in die Welt hinaus tragen zu können. Zudem behält sich die SWISS vor, besonders erfolgreiche Menu-Kreationen auch länger als drei Monate auf ihren Flügen anzubieten.
Eine Herausforderung mit weitreichendem Gewinn
Doch nicht nur Koch, Küche und das entsprechende Haus profitieren davon. Gate Gourmet, selber ein Grossabnehmer der sich viele Zutaten für die spezifischen Bedürfnisse eigens produzieren, züchten oder anbauen lässt, berücksichtigt wo immer möglich die ursprünglichen Lieferanten der Gastköche. Gelegentlich liegen die geforderten Mengen allerdings über den Möglichkeiten der teilweise sehr exklusiven oder kleinen Produzenten. So galt es beispielsweise für die Bestückung der Weinkarte erst einen Luzerner Wein zu finden, der in genügender Menge lieferbar war. Denn wie der Chefkoch meint, seien wohl einige Anpassungen in der Rezeptur zu machen, bei der Qualität der Zutaten und deren Zubereitung hingegen gäbe es bei ihm wie bei der SWISS keine Kompromisse, besonders nicht für das kulinarische Angebot der First-Class.
Allerdings, wer sich „nur“ zum Gros der Economy-Reisenden zählt oder gar gänzlich auf das Fliegen verzichtet, kann trotzdem die „Bordküche“ aus Luzern geniessen, nicht hoch über den Wolken zwar, aber doch immerhin über den Dächern ebendieser Stadt.
Pünktlich zum Take Off von Johan Breedijk’s „Flugmenus“ am 3. März 2010 stehen auch im Scala Restaurant des Hotel Montana die entsprechenden Menus auf der Karte. En Guete!