Wer einen Oldtimer fährt, besonders ein eher volkstümliches Modell, kennt wahrscheinlich die Situation: Ob an der Tankstelle oder sonst beim Zwischenhalt, oft findet sich ein Zeitgenosse, der schwärmerisch davon erzählt, dass er vor so und so vielen Jahren auch einmal ein solches Automobil gefahren sei. Ganz besonders häufig sind solche Bemerkungen natürlich, wenn es sich beim alten Auto um einen VW Käfer handelt. Oft war das automobile Krabbeltier gar der erste fahrbare Untersatz überhaupt – ein Grund mehr, Erfahrungen damit mit verklärtem, nostalgischem Blick zu betrachten.
Auch Herr und Frau Ruefer aus dem Seeland starteten ihr automobiles Glück mit einem Käfer – genauer mit einem Typ 11 „de Luxe“ mit Faltschiebedach, Baujahr 1952, von Insidern „Rheumaklappen-Käfer“ benannt, wegen den kleinen Klappen in der Seite vor den Türen. Herr Ruefer, damals ein junger Elektroingenieur, kaufte sich den Wagen am 20. Dezember 1954 als Occasion zum Preis von 3650 Franken. Obwohl der Kaufvertrag ausdrücklich jegliche Nachwährschaft ausschloss, sollte sich die investierte Summe mehr als lohnen.
Einen ganz besonderen Auftritt feierte das Auto 1961, bald 10 jährig, zur Hochzeitsreise des jungen Paares nach Spanien – das genaue Reiseziel: Malaga! Dank der Akribie Herrn Ruefers lässt sich die genaue Reiseroute noch heute bis ins Detail nachverfolgen. Start zur ersten Etappe nach Genf war am 1. Oktober. Die Strecke, welche heute dank Autobahn in wenigen Stunden zu schaffen ist, forderte damals noch den ganzen Fahrer und alle vorhandenen 30 PS des Wagens. Kenner werden jetzt einwenden, ein 1952er VW hätte aber nur 25 Pferde unter der Haube! Dazu folgende Anekdote: Volkswagen waren bekannt für ihre Qualität und den guten Service, dazu gehörten auch die Tauschmotoren, als erster Hersteller überhaupt. Leider hatten diese auch ihren Preis, zu Recht, wie der junge Automobilist Ruefer erfahren musste. Seinen Ersatzmotor, nachdem die 25 PS Maschine nicht mehr befriedigte, holte er sich aus Deutschland, von einem Revisionsbetrieb welcher viel günstiger war. Doch kaum zurück in der Schweiz – wir wollen hier auf die Zollabfertigung nicht näher eingehen, es gab keine…- brach die Kurbelwelle des frisch eingebauten Motors. Ruefer, in einer Fuhrhalterei aufgewachsen und schon als kleiner Junge meistens in der Werkstatt seines Onkels zu finden, reparierte schliesslich den Motor selber. Und nicht nur das, sein Auto wird er künftig konsequent selber unterhalten und revidieren. Und den alten 25 PS Motor stellte er sich sicherheitshalber auch zur Seite.
Am Tag 2 führte die Reise, welche zusammen mit einem weiteren Paar, ebenfalls im Käfer, in Angriff genommen wurde, nach Adge an der französischen Mittelmeerküste. Der Ort war damals noch weit entfernt vom heute bekannten Ferienort mit seinen riesigen Hotels und Ferienresidenzen.
Ein VW Käfer ist kein Raumwunder, Gepäck lässt sich nur in einem kleinen Stauraum hinter der Rückbank – wo dieses den erfreulichen Nebeneffekt hat, das penetrante Motorgeräusch etwas zu dämmen – und unter der vorderen Haube, zwischen Reserverad und Benzintank unterbringen.
„Hart im Nehmen“ hätte sie sein müssen, sagt Frau Ruefer, und natürlich hätte das Geld nur für die „schäbigsten Hotels“ gereicht, meint sie schelmisch mit Blick auf ihren Mann. Dieser hat, noch unverheiratet, auch schon zu dritt mit Kollegen in seinem Auto übernachtet, mangels Schlafgelegenheit, oder hat „Mann“ das Budget einfach falsch berechnet?
Der dritte Tag führte bis nach Figueras kurz nach der Spanisch-Französischen Grenze. In Spanien des General Franco sind die Strassenverhältnisse kaum zu vergleichen mit Frankreich oder gar den unsrigen. Vielerorts handelt es sich noch um unbefestigte Schotterpisten. Ruefers Sinn für Mechanik lässt ihn darum akribisch jeden fälligen Schmierservice ausführen, genau alle 2500 Kilometer wie es die Wartungsvorschrift verlangt. Da spielt es ihm keine Rolle, wenn er mitten auf der Landstrasse zur Fettpresse greifen muss und sich in den Staub werfen, um die Vorderachse mit frischem Fett zu versorgen. Das Auto dankt es mit absoluter Zuverlässigkeit in einem Land, dessen Motorisierungsgrad zu der Zeit noch unter dem der Schweiz vor dem 2. Weltkrieg liegt.
Der 4. Tag führt nach Valencia, Tags darauf geht es weiter nach Cartagena. Der „de Luxe“ Käfer, der in Deutschland sinnigerweise „Export“ hiess, wurde von VW 1949 erstmals aufgelegt, nachdem sich zeigte, dass für den ab 1947 aufgenommenen Export (zuerst nach Holland, dessen Importeur Ben Pohn im selben Jahr den Anstoss zum nicht minder erfolgreichen Transporter gegeben haben soll) die spartanische Ausstattung des Wolfsburger Autos aufgewertet werden musste. Die AMAG, VW Importeur für die Schweiz erhielt im Mai 1948 die ersten 25 Käfer, die Schweizerische Automobilrevue testet den späteren Dauerläufer als erste Zeitung überhaupt im folgenden Jahr.
Das Fazit damals: „Er () ermöglicht manchem Familienvater, Geschäftsmann und auch sportlich eingestelltem Fahrer, sein Bedürfnis nach einem voll brauchbaren Wagen für einen verhältnismässig geringen Betrag und bei sehr niedrigen Betriebskosten zu stillen.“ Ruefers Käfer kostete pro Kilometer genau 12.5 Rappen, bei einem Durchschnittsverbrauch von 8.7 Litern.
Die folgenden Tage führten das junge Paar nach Granada, Torremolinos und in das britische Gibraltar. Hier wurden genau 9.8 imperial gallons (ca 37 Liter) Benzin getankt, zum Preis von 21.80 Franken. Und natürlich wurde wieder geschmiert und auch ein Ölwechsel wird fällig, alle 5000 Kilometer. In weiser Voraussicht führte Ruefer den Schmierstoff gleich mit, über den Verbleib des Altöls schweigt er sich aus, damals war man diesbezüglich noch nicht sonderlich besorgt.
Gutes Öl ist elementar für den Luftgekühlten VW Motor, denn nebst der Luft ist das Öl das einzige kühlende Medium des Vierzylinder-Boxermotors. Ein Ölkühler sorgt für den Wärmeaustausch mit der Kühlluft, allerdings wird dadurch dem 3. Zylinder gelegentlich etwas heiss, bis zum Ende der Käferproduktion die Achillesferse des VW-Motors.
Weiter ging es mit frischem Öl nach Algeciras, Ronda und schliesslich zum Ziel nach Malaga.
Hier bot sich eine ungewöhnliche Möglichkeit zur Rückreise bis Barcelona – mit dem Schiff!
Der kleine Käfer wird wie die restliche Fracht mittels Kran an Bord gehievt und ab geht die Reise entlang der Spanischen Mittelmeerküste. In Barcelona gönnen sich Ruefers einen Tag Aufenthalt bevor die Rückreise ansteht. Über Tossa, Lunel und Nantua führt der Weg zurück nach Genf und schliesslich nach Hause. 20 Tage dauerte die Reise, 3700 Kilometer Weg legten sie mit ihrem damals schon als alt betrachteten Käfer zurück. Kurz darauf kauften sie sich einen modernen Volvo, der Käfer aber blieb in der Familie. Stets gewartet, einmal gar selber frisch lackiert und trocken in der Garage abgestellt überlebte der Käfer auch die Zeit, als Herr Ruefers Chef meinte, er solle doch gefälligst nicht mehr mit dem alten Auto in die Firma fahren, die Leute würden meinen er bekäme einen schäbigen Lohn. Insgesamt 48 Jahre verbleibt der „Brezelkäfer“ – die Urmodelle heissen so wegen ihrer kleinen, geteilten Heckscheibe – schliesslich im Besitz der Ruefers. Erst 2002 gelingt es Frau Ruefer ihren Mann zu überzeugen, seine zweite Liebe zu verkaufen. Ein Inserat in der Automobilrevue führt zum heutigen Besitzer, welcher den Wagen, so wie er ist, mit allen Spuren seines langen Autolebens, den selber genähten Sitzbezügen, den Winkern statt Blinkern und, man weiss ja nie, dem alten, originalen 25 PS Motor, wie bei Ruefers unter der Werkbank in Reserve gestellt, hegt und pflegt.
Bilder: D. Gossweiler, Familie Ruefer, Autor