Vorab noch dies:
Diesen kleinen Artikel habe ich 2012 als Reaktion auf eine mir eher abstrus anmutende Bitte, etwas zu Vollmond und Verkehr zu schreiben, realisiert. Neulich wieder ausgegraben – der Artikel ist damals im Magazin des Verkehrshauses erschienen – ist er nun auch hier zu lesen…
Wenn die fahle, gelbe Scheibe am nächtlichen Himmel prangt, werden im Menschen ureigene Instinkte wach. Wer hat nicht schon gebannt zum Himmel geschaut und sich vielleicht sogar etwas von unserem Erdtrabanten beobachtet gefühlt? Unzählige Riten, Bräuche, Legenden und Sagen, aber auch Aberglauben und moderne Märchen begleiten die Erscheinung des Vollmonds. Er lässt uns, trotz seines fahlen Lichts, also alles Andere als „kalt“. Denn selbst der moderne, in einer technisierten Welt sich bewegende, rationale Mensch sieht sich gelegentlich mit dem Phänomen des Vollmondes konfrontiert.
Besonders wer unterwegs oft unterwegs ist, kommt nicht umhin, gewisse Phasen erkennen zu wollen. Die Umwelt reagiert anders als sonst, die Mitautomobilisten fahren nicht wie sie sollten, gewisse Zeitgenossen – Mitreisende in Bus oder Zug, oder auch die Passagiere im Flugzeug nerven, selbst der Aufenthalt auf dem Flughafen erscheint, mit all seinen Formalitäten, aufreibender als sonst. Auf die Frage nach dem Warum findet sich eine allgemein akzeptierte, und deswegen mehr als probate Antwort: „Es ist eben Vollmond!“. Ist die Erscheinung unseres steten Begleiters auf der Reise rund um die Sonne – in seiner gesamten Pracht – ein allmonatlich wiederkehrender Störfaktor? Nicht unbedingt!
Mond und Verkehr, eine alte Beziehung
Ohne Frage ist der Mond in Verkehrsfragen von besonderer Bedeutung. Allen voran in der Seefahrt. Denn als Hauptverursacher von Ebbe und Flut beschäftigt er besonders die Küstenseefahrt. Nicht, dass es der Mond alleine zu verantworten hätte, wenn an besonderen Küstenorten Tidenhübe, also der Unterschied von Ebbe und Flut von mehr als 15 Metern entstehen können. Aber als erstes Glied einer Reihe weiterer Ursachen, wie Küstenverlauf oder die Trichterwirkung gibt es kaum einen augenfälligeren Einfluss des Mondes auf unsere Erde. Damit stellen sich natürlich Probleme, wie unterschiedliche Wasserstände in Hafenbecken oder gar das gänzliche Trockenfallen einer Küste, welche beim Befahren der entsprechenden Stellen berücksichtigt werden müssen. Zwischen Höchst- und Niedrigwasser liegen rund 12 Stunden, 15 Minuten – in einer immer schnelleren Welt unter Umständen ein erheblichen Zeitverlust. Besonders betroffene Seehäfen werden aus diesem Grund mittels einer Schleuse auf einen relativen Wasserpegel einreguliert, damit sie immer schiffbar bleiben. Eine technische Lösung, wie sie anlässlich der letztjährigen Mitgliederreise des Verkehrshauses gut beobachtet werden konnte, beim Passieren der Hafenschleuse von Hull, hinaus in das Brackwasser zwischen der Nordsee und dem River Humber, dessen Mündungstrichter für den entsprechen grossen Tidenhub sorgt.
Der Mensch macht sich die indirekte Kraft des Mondes aber auch zunutze und gewinnt daraus Energie – mit Hilfe eines Gezeitenkraftwerks. Wer weiss, vielleicht treibt so in Zukunft unser Erdtrabant auch einen Teil unserer Verkehrsmittel an, mit elektrischer Energie, gewonnen aus dem Spiel von Ebbe und Flut.
Der Mond – wenige Besucher aber viel Aufmerksamkeit
Das wohl aufwändigste technische Unterfangen des 20. Jahrhunderts, war die Reise und Landung des Menschen auf dem Mond. Als John F. Kennedy am 25. Mai 1961 verkündete, die USA wollten binnen eines Jahrzehnts einen Menschen zum Mond senden, war sich niemand der Aufmerksamkeit bewusst, welche der Mond dadurch zum Ende der Dekade erfahren würde. Als am 20. Juli 1969 der Traum Wirklichkeit geworden war und Millionen von Menschen rund um den Globus via Fernseher die ersten Menschen auf dem Mond live miterleben konnten, stand der Erdtrabant im Rampenlicht wie noch niemals seit seiner noch immer nicht eindeutig erklärbaren Entstehung.
Effektiv nur von 12 Menschen betreten, beschäftigte der Mond – durch das Apollo Programm – zeitweise gegen 400′000 Menschen und seine Eroberung hatte rund 25 Milliarden Dollar verschlungen. Dass die Mondlandungen ihren Sensationswert erstaunlich schnell verloren und das Unterfangen vorzeitig 1972, nach 6 Mondlandungen, beendet wurde, hatte wohl mehr mit einer stets schneller nachlassenden medialer Aufmerksamkeit als mit einer nachlassenden Faszination für den Mond als Solches zu tun. Denn, trotz dessen intensiver wissenschaftlicher Erforschung wurde der Erdtrabant als Folge der Esotherik-Bewegung in den späten 1970er und 1980er Jahren in seiner Rolle als geheimnisvolle Kraft bestärkt. Mensch – Mond, eine Beziehung, die weit jenseits der Rationalität existiert.
Mondschwärmer
Man braucht nicht Astronaut zu sein, um in Sachen Mond unterwegs zu sein. Wer während einer sommerlichen Vollmondnacht auf einem Alpenpass oder rund um einen See unterwegs ist, wird staunen, wie viel Verkehr er unter Umständen antrifft. Ganze Gruppen von Motorradfahrern und „automobilen“ Nachtschwärmern geniessen die Kühle der Nacht. Und die gute Sicht macht selbst kurvige Strecken zum Genuss. Und wer je einen Nachtflug bei Vollmond miterlebt hat, eine Segelpartie auf Süsswasser oder gar auf hoher See, dem wird der Mond als freundlicher Begleiter der Nacht erschienen sein.
Doch halt, setzt man sich nicht einem erhöhten Risiko aus, wenn man sich bei Vollmond auf die Strasse wagt?
Laut zahlreichen Studien sowohl aus den USA als auch Europa gibt es keinerlei messbaren Zusammenhänge zwischen den Unfallzahlen und Vollmondphasen. Der direkte Einfluss manifestiert sich also nicht in verminderter Konzentrationsfähigkeit und daraus resultierenden höheren Unfallzahlen bei Vollmond, sondern vielmehr damit, dass die fahle Himmelsscheibe die Menschen fasziniert und ihn veranlasst, eine Reise zu tun – von einigen Schritten des Nachtwandlers bis zu einer bemannten Mondlandung.
Von Martin Sigrist
Weiterführende Artikel:
NZZ Folio 07/94 – Thema: Zum Mond
«Eine gewisse Art der Raserey»
Mondsüchtige Menschen und okkulte Kräfte.
Von Peter Pfrunder